Schach in der Pfalz vor 1921
Anfänge des Schachspiels im 19. Jahrhundert
Wir dürfen annehmen, daß das Schachspiel im vergangenen Jahrhundert in der Pfalz ebenso beliebt und verbreitet war wie in den anderen deutschen Ländern. Man spielte im Familien-, Verwandten- und Bekanntenkreis, traf sich in zunächst kleinen Zirkeln in einer Gaststätte, gründete, wenn etwa ein Dutzend Spieler zusammengekommen waren, einen Schachverein und setzte einen Spielabend in der Woche fest Neben den sogenannten bürgerlichen entstanden in In¬dustriestädten und deren umliegenden Gemeinden "Arbeiter-Schachvereine", die intern und untereinander einen eigenen lebhaften Spielbetrieb unterhielten.
Im benachbarten Baden entwickelten sich frühzeitig Schachzentren mit den Vereinen Karlsruhe 1853, Mannheim 1865 und Heidelberg 1879. Schachfreunde im nahen Hessen gründeten den "Wormser Schachverein 1878". Dieser Klub ist der einzige linksrheinische, der heute noch an seinem Gründungsdatum aus dem 19. Jahrhundert festhält. Er hat sich später in Richtung Mannheim und Pfalz orientiert.
Erst im letzten Viertel des Jahrhunderts wurde der Spielbetrieb auf höherer Ebene organisiert. 1877 erfolgte die Gründung des "Deutschen Schachbundes" in Leipzig und zwei Jahre später die eines "Südwestdeutschen Schachbundes" in Mannheim. Im Bereich des letzteren fanden während nur weniger Jahre Kongresse in Heidelberg, Stuttgart, Frankfurt und Mannheim statt.
Aus den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erreichen uns Nachrichten von Schachveran¬staltungen, an denen Pfälzer Vereine beteiligt waren. Aber diese Meldungen sind noch nicht gesichtet und gesichert. Meist dürfte es sich wohl um kurzlebige Zusammenschlüsse gehandelt haben, die nur vorübergehend bestanden.
Bayern und die Pfalz
Am 26.09.1906 wurde der "Bayerische Schachbund" aus der Taufe gehoben. Vom raschen Aufblühen des Schachspiels im rechtsrheinischen Bayern zeugt ein "Verzeichnis der Mitglieder, das am 15.04.1909 bereits von 100 Einzelmitgliedern sowie 58 Schachvereinen mit insgesamt 2100 Mitgliedern spricht. Allein die Hauptstadt München, die damals etwa eine halbe Million Einwohner zählte, hatte 21 Schachvereine mit 631 Mitgliedern, und in Nürnberg hatten 28 Schachspielerinnen einen eigenen Damenschachklub gegründet.
Von solchen Verhältnissen konnte die linksrheinische Pfalz, die damals zu Bayern gehörte, nur träumen. Immerhin nennt das Mitgliederverzeichnis bereits 5 Einzelmitglieder in der Pfalz:
- Ludwig Bachmann, königlicher Regierungsrat bei der Eisenbahndirektion in Lud¬wigshafen
- Fr Köhnlein, königlicher Realschullehrer in Pirmasens
- Wilhelm Prügel, Lehrer in Zell in der Rheinpfalz
- Otto Rebmann, königlicher Regierungs- und Steuerassessor bei der Regierung der Pfalz in Speyer am Rhein
- Dr med C. Thoenes, Spezialarzt in Speyer am Rhein
Weiterhin gab es zwei Schachvereine:
- Schachklub Landau, Pfalz: Vorsitzender Friedrich Hauck, königlicher Postverwalter; Lokal: Cafä Stöpel; 105 Mitglieder
- Schachklub St. Ingbert, Pfalz: Vorsitzender Hugo Hausser, Architekt; Lokal: Restaurant Münchner Kindl; 10 Mitglieder St. Ingbert gehörte bis 1920 zu Bayern
Die ersten Schachvereine in der Pfalz
Um die Jahrhundertwende und kurz danach wurden in der Pfalz in rascher Folge 10 Schachvereine gegründet, die heute meist noch bestehen:
Bad Dürkheim Sankt Ingbert Kaiserslautern Landau Neustadt a. Haardt Ludwigshafen Speyer Pirmasens Grünstadt | 16.12 1884 10.09.1905 1905 19.05.1908 06.10.1910 28,06.1912 14.03.1911 10/1912 1911 |
Von den hier genannten Gründungsdaten sind nicht alle gesichert. Der genaue Tag ist selbst manchem Klub nicht bekannt. Über einige Vereine machen verschiedene Quellen unterschiedliche Angaben.
Schach während des ersten Weltkriegs
1914 brach der große Krieg zwischen den Staaten Europas aus und brachte Not, Entbehrung, Ge¬fahr und Unglück über die Menschen. Auf die Verbreitung und Pflege des Schachspiels hat er sich unterschiedlich ausgewirkt
Einerseits erstarb in den Vereinen das Leben nach und nach. Zahlreiche Schachspieler mußten einrücken; die meisten von ihnen verbrachten Jahre an der Front; viele kehrten aus dem Krieg nicht mehr zurück. Da ist es nicht verwunderlich, daß der Spielbetrieb in der Heimat von Jahr zu Jahr schwächer wurde und gegen Ende des Krieges ganz zum Erliegen kam.
Die Schachzeitungen berichteten in dieser Zeit - wohl auch aus Mangel an anderen Nachrichten - von den unterschiedlichen Schicksalen der Vereinsspieler, vor allem der Schachmeister: von ihrem Einsatz in Ost und West, von Beförderungen und Auszeichnungen, aber auch von Verwundung, Gefangenschaft und Tod.
Die Einberufung der Männer zum Kriegsdienst hatte andererseits eine ungeheure Verbreitung des Schachspiels zur Folge. Soldaten lernten in den Ruhestunden unter oft widrigen Bedingungen im Unterstand an der Front, in Gefangenschaft oder in Lazaretten das Schachspiel kennen. - Diesen Umstand machte sich auch der Deutsche Schachbund zunutze. In einem allgemeinen Aufruf ersuchte er alle in der Heimat verbliebenen Schachspieler, durch Bereitstellung von Schachmaterial und Vermittlung der Anfangsgründe des Spiels für das Schach zu werben.
Neuorientierung in der Pfalz zu Beginn der 20er Jahre
Die unmittelbare Nachkriegszeit war keineswegs eine günstige Voraussetzung für eine Blüte des Schachspiels. Der Krieg war verloren, die wirtschaftliche Versorgung gefährdet, die politische Lage unsicher. Die Pfalz hatte in ihrer wechselvollen Geschichte schon immer unter Kriegsfolgen besonders stark zu leiden. Während sich nun im Westen an der Saar eine neue Grenzziehung an-bahnte, gab es im Osten andere Schwierigkeiten. Das linksrheinische Gebiet sollte noch jahrelang von ausländischen Truppen besetzt bleiben; das rechtsrheinische teilte dieses Schicksal nicht. Der Weg Ober die Rheinbrücke war erschwert und wurde zeitweise geschlossen.
Möglicherweise begünstigten gerade diese Erschwernisse eine beschleunigte Abnabelung der Pfalz von dem schachlich weiterentwickelten Baden. Hatte Mannheim vor dem Krieg die Schachspieler der Vorderpfalz geradezu magisch in seinen Bann gezogen, so besannen sich nun die Pfälzer auf die eigene Kraft.
Nachdem die nötigsten Vorkehrungen für die Sicherung des Lebens im Alltag getroffen waren, hatte man auch in der Pfalz wieder Zeit zur Muße. Die früheren Schachvereine mußten wiederge¬gründet, ihre Mitglieder, welche in den Wirren der vergangenen Jahre in alle Winde zerstreut worden waren, ausfindig gemacht, die Schachspiele und -bücher wieder eingesammelt werden. Ir, diese Vereine strömten nun junge Leute, die das im Krieg kennengelernte und liebgewonnene Schach weiter pflegen wollten. So stieg in der Folgezeit in manchem Klub die Zahl der Mitglieder auf ein Mehrfaches der Vorkriegszeit.
In einer zweiten Gründungswelle entstanden eine Reihe neuer Schachvereine in der Pfalz:
- Mundenheim 1919 - Oggersheim 1920
- Mutterstadt 1919 - Frankenthal 1921
- Otterbach 1919 - Arbeiter-Schachklub Ludwigshafen 1921
Die nun existierenden Schachvereine sollten - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - in der Zukunft die bedeutenden Schachzentren der Pfalz bilden.
Jetzt war die Zeit reif für die Gründung einer eigenen Dachorganisation alter Vereinsschachspieler in der Pfalz.
Das Schach der frühen Jahre
Wie sah nun die Freizeitbeschäftigung der Jünger Caissas vor 1921 aus?
Die modernen Spielregeln waren im großen und ganzen bereits festgelegt. In der Folgezeit sollten sie in manchen Punkten noch genauer - wenn auch nicht immer glücklicher - formuliert und die einzelnen "Artikel" neu angeordnet werden. Inhaltliche Änderungen waren hinsichtlich der "Strafzüge" und der "Vorgabepartien" zu erwarten.
Unbekannt waren in der Pfalz Turniere, die eine umfassende Schachorganisation voraussetzten wie Einzel- oder Mannschaftsmeisterschaften. Diese gab es auf der Ebene des Deutschen und des Bayerischen Schachbundes. 1926 wurde erstmals eine bayerische Einzelmeisterschaft in Pir¬masens durchgeführt.
Im Mittelpunkt des Klublebens in der Pfalz stand die Cafähauspartie als freie Begegnung zweier Schachspieler, die am wöchentlichen Spielabend ohne Vorbereitung und ein besonderes Turnierreglement ausgetragen wurde.
Eine Besonderheit der damaligen Zeit war die "Vorgabepartie", bei welcher der bessere Spieler dem schwächeren entsprechend der jeweiligen Turniervereinbarung eine Vorgabe an Zügen, Bau¬ern und/oder einer Figur einräumte. Man versuchte auf diese Weise, die Spielstärkeunterschiede auszugleichen. - Daß diese Art der Schachpartie in der Folgezeit völlig außer Übung gekommen ist, braucht uns nicht traurig zu stimmen.
Als zentrale Veranstaltung wurde im. Verein jährlich ein "Winterturnier" ausgetragen, das alle aktiven Mitglieder am Brett vereinte. An größeren Orten, an denen nur ein Klub bestand, galt dieses Turnier zugleich als Klub- und Stadtmeisterschaft.
Daneben gab es Ober das Jahr verteilt Turniere anläßlich des "Stiftungsf,estes", meist mit gesellschaftlichen Rahmenveranstaltungen, Thematurniere - etwa nach einem Schachvortrag über eine bestimmte Eröffnung - und Gedenkturniere zum Gedächtnis an ein verstorbenes Mitglied, das sich um den Verein verdient gemacht hatte.
Gelegentlich wurden Vorträge gehalten von Mitgliedern zur allgemeinen Hebung der Spielstärke oder zwecks Information über die Geschichte des Schachspiels und das aktuelle Schachgeschehen.
Man tat aber auch einen Blick über den Schachklub hinaus und suchte sich Gegner in fernen deutschen Städten. So wurden bereits im 19. Jahrhundert "Korrespondenzpartien" gespielt, aber auch große Fernschachturniere mit mehreren Gegnern gleichzeitig ausgetragen. Freilich spielte diese Art des Schachspiels in der Pfalz eine geringere Rolle als etwa im benachbarten Mannheim. Gerne traf man sich mit einem Verein in der Nähe zu einem Wettkampf. Die Entfernung sollte nicht allzu groß sein, denn das einzige öffentliche Verkehrsmittel war damals die Eisenbahn. Zum Hinkampf reiste der eine Verein, zum Rückkampf einige Wochen später der andere.
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts gab es die Schachuhr. Aber für viele Vereine, die ihren monatlichen Mitgliedsbeitrag nach Pfennigen berechneten, war die Anschaffung mehrerer Uhren zu teuer. Deshalb wurden - im Unterschied zu Meisterturnieren - Turnierpartien im Klub meist ohne Schachuhr gespielt. Die Zugfolge war relativ schnell. Wir wissen von Turnieren der frühen zwanziger Jahre, bei denen der Spieler - nun bereits mit Uhr! - für 20 Züge eine Stunde Bedenkzeit hatte, daß eine voll ausgespielte Partie auch mit einer größeren Anzahl von Zügen kaum länger als zwei Stunden dauerte. Auch gab es die Regelung, daß Partien abgeschätzt wurden, die nach 2 1/2 Stunden Gesamtspielzeit nicht beendet waren. - Damals ahnte man noch nicht, zu welchem Marterinstrument die Schachuhr für ganze Schachspielergenerationen werden würde.
Auch das Blitzschach war bereits bekannt, wenn auch noch nicht so beliebt und gepflegt wie heute. Man spielte ursprünglich nach einer allgemeinen und lauten Ansage im 5- oder 10-Sekundentakt: "Weiß - zieht!" - "Schwarz - zieht"' Im Gegensatz zum heutigen Blitzschach, bei dem die Bedenkzeit nach dem eigenen Ermessen und Belieben des jeweiligen Spielers frei auf die Züge verteilt weren kann und es nur eine einzige Zeitkontrolle am Ende der Partie gibt, konnte es damals bei jedem einzelnen Zug zu einer Zeitüberschreitung kommen, wenn nämlich ein Spieler seinen Zug nicht rechtzeitig ausführte. Diese Kalamitäten führten zu unzähligen Verstimmungen, Mißhelligkeiten und Reklamationen. - Wie akkurat ist doch demgegenüber unser heutiges Blitzschach: Das Fallblättchen entscheidet klar, eindeutig und endgültig.
Vereine, die sehr rührige Organisatoren mit guten Beziehungen hatten, konnten ihren Mitgliedern von Zeit zu Zeit eine besondere schachliche Delikatesse bieten. Sie luden einen bekannten Schachmeister in ihren IClub ein zum "Reihenspiel" oder gar zum "Blindlingsspiel". Diese Veranstaltungen boten zugleich die Möglichkeit, für den Klub zu werben, denn der große Name des Gastes lockte neugierige Unorganisierte an, die dem außerordentlichen Spektakel beiwohnen und möglicherweise in den Klub eintreten wollten. Vor und nach dem Spiel sprach der Meister über ein interessantes Thema; er erzählte vielleicht von großen Turnieren, plauderte aus seinem Leben, gab Anekdoten von Schachspielern zum Besten und bot den staunenden Schachjüngern Stunden unvergeßlichen Erlebens: die Atmosphäre der großen Schachwelt.
Rudolf Arnold